Es wurde Weihnachten 1945, als die Siedler in ihre zerschundene Siedlerstellen wieder einziehen konnten. Die Heimgekehrten fühlten sich vorerst aber wie Fremde. Die lange Abwesenheit, das Bild der Zerstörung, das die Siedlung bot, der Verlust ihres Hab und Gutes bewirkten dieses Gefühl der Fremdheit. Hinzu kam bei vielen Siedlern der Schmerz und die Trauer um den Verlust ihrer Angehörigen.

Zwei besonders schmerzvolle Ereignisse, die die Schwierigkeiten aller Heimkehrer besonders deutlich machen, wird man in der Siedlung wohl kaum vergessen können. Eine unserer Siedlerfamilien hatte die Heimat fast erreicht. 600 km waren sie marschiert mit einem Handwagen, auf dem ihre Habe geladen war. Sie konnten das Ziel der Wanderung schon mit bloßen Augen sehen, da schlug das Schicksal zu. Im Zeitraum einer Sekunde wurde eines ihrer Kinder an der Hand ihres Vaters, vor den Augen der Mutter, von einem Militärfahrzeug überfahren. Es starb wenig später im Wegberger Krankenhaus.

Gleichfalls auf dem Wege aus der Evakuierung waren die Söhne und Töchter mehrerer Siedlerfamilien. In der Nacht zum 27. August 1945 erreichten sie die Zonengrenze bei Wartha (Eisenach). Plötzlich ertönte in der Dunkelheit ein russisches Kommando. Vor Schreck warfen sich die Jungen und Mädchen auf die Erde. Da traten die russischen Wachposten heran und befahlen ihnen aufzustehen. Als sie gerade standen, krachte der erste Schuß und sterbend brach die 20 Jahre alte Gertrud zusammen. Ein zweiter Schuß streckte vor den entsetzten Augen seines älteren Bruders Fredi den 15jährigen Rudi nieder. Die übrigen entkamen wie durch ein Wunder den russischen Gewehren.

Um den Lesern dieser Chronik ein wahrheitsgetreues Bild vom Umfang der Vernichtung unseres Ortes zu vermitteln, zitiere ich auszugsweise die Ausführungen des damaligen Landrats und Augenzeugen Schiefer: "Das Dorf Hetzerath im Amtsbezirk Baal war als Sammellager für ehemalige russische Zwangsarbeiter von der amerikanischen Militärregierung bestimmt worden. Die Russen kamen in kleineren und größeren Transporten an und nahmen Besitz von den Wohnungen. Das Lager wuchs mit der Zeit auf mehr als 7000 Insassen an. Männer, Frauen und Kinder hausten hier und führten ein wildes asiatisches Leben, das auch die amerikanische Lagerwache nicht bändigen konnte. Diese lag in Haus Hohenbusch und ich hatte dort häufig in Angelegenheit des Lagers zu tun. Es war für mich jedesmal mit Lebensgefahr verbunden, an Hetzerath vorbei nach Hohenbusch zu gelangen. Trotz strenger amerikanischer Bewachung stahlen die Banditen hunderte Fahrräder auf offener Straße und am hellichten Tage, verprügelten die Eigentümer, raubten ihnen Geld, Uhren und in vielen Fällen die Kleider vom Leibe, so daß sie nackt auf der Straße standen. So fuhren die in Hetzerath untergebrachten Russen plündernd, mordend und brandschatzend durch die umliegenden Ortschaften. Sie schleppten Möbel, Fahrräder, Kinderwagen, Handwagen und alles mögliche nach Hetzerath. Ich hatte nach Räumung des Lagers als erster das Recht, am Sonntag dem 10. Mai, Hetzerath zu besichtigen. Mein Auge war schon an etwas gewöhnt und nicht leicht zu überraschen. Aber was ich hier erblickte, übertraf jede Erwartung. Ein wüstes Durcheinander, unglaublicher Schmutz und Dreck in den Häusern und vor den Türen, hohe Berge stinkender Abfälle und Müll. Tags darauf übernahm ich von der Militärregierung das Lager und ließ es entseuchen."

Quelle: Festschrift der Interessengemeinschaft Hetzerath "Siedlung Hetzerath 1939-1964 anlässlich 25jähriges Bestehen in Verbindung mit der Spätkirmes in Hetzerath"